Der Einbruch in der
Hirtenberger Patronenfabrik.
Breitwiesers letzte „große Tat“.
Transkription: Michael Strasser
Als Breitwieser am 27. Dezember v. J. aus dem Landesgerichte wieder einmal entkommen war, plagte sich die Polizei längere Zeit vergeblich, ihm auf die Spur zu kommen. Erst als der Einbruch in der Hirtenberger Patronenfabrik bekannt geworden war und sich die Mutmaßung, daß ein deutscher Unteroffizier der Täter sei, als unrichtig erwiesen hatte, gelang es, eine anzahl Mitverbrecher ausfindig zu machen, die Breitwieser als den Hauptmacher bei dem Einbruch bezeichneten. Es war diese vor allem der Drechselmeister Karl Seitzer, 12. Bezirk, Werthenburggasse 12, der dem Breitwieser nach seiner Flucht aus dem Landesgerichte Unterschlupf gewährt hat. Bein jenem wurde auch der Plan zum Einbruch in der Patronenfabrik ausgeheckt. Bei ihm hat Breitwieser die WErkzeuge für den Ksseneinbruch angefertigt. Seitzers Sohn, Ludwig Seitzer, ein Dachdeckergehilfe, der im Frühjahr 1918 in der Hirtenberger Patronenfabrik Arbeiten auf dem Dache zu verrichten gehabt hatte, war an den Auszahlungstagen in den Kassenraum der Fabrik gekommen. Er sah, daß die Kasse ganz mit Geld gefüllt war. Allein getraute er sich nicht den Einbruch, an den er gleich damals dachte, zu verüben, und als der Zufall breitwieser in die Wohnung seines Vaters brachte, machter er ihm auf die glänzende -gelegenheit aufmerksam. Breitwieser ging sofort auf den Plan ein und war gleichzeitig bestrebt, sich eine Anzal verläßlicher, vor allem nüchterner Genossen für den Einbruch zu gewinnen. Die Wahl fiel neben Ludwig Seitzer auch auf den Bruder, den Gärtner Otmar uas Siebenhirten, dessen Schwager, den Urmacher Franz Pollak und den Monteur Frans Wessely, Wenzlgasse Nr. 76.
Der Einbruch in den Kassenraum
In der Nacht zum 18. Jänner d. J. wurde die Umzäunung der Fabrik überklettert. Die Täter schlichen sich in das Hauptgebäude der Fabrik, in dem sich die Kanzlei- und Kassenräume befanden, drückten ein Fenster ein und gelangten ins Gebäude. Ungestört erreichten sie das Kassenzimmer und machten sich über die Hauptkasse her, in der die Gelder für die Wochenauszahlung bereit standen. Die Ksse hatte drei Schlösser, von denne nur eines versperrt war. Sie erbeuteten 587.695 Kronen in barem Gelde. Unmittelbar nach dem Einbruch am 18. Jänner früh kam Ludwig Seitzer in die Wohnung seiner verheirateten Schwester Sophie Pollak. Er hatte einen Rucksack mit und entnahm ihm ein Paket, das er seinem Schwager Pollak zum Aufheben übergab. Er sagte dabei, es enthalte etwa 110.000 Kronen. Pollak behielt das Geld bei sich, wußte angeblich nicht, daß es von dem Hirtenberger Einbruch sei. Sonntag den 19. Jänner früh kam Ludwig Seiter wieder in die Wohnung Pollaks und verlangte das Paket zurück. Er gab dem Pollak 5000 Kronen zur Belohnung und teilte ihm nunmerh ganz offen mit, daß das Geld sein Anteil von dem Einbruch in der Patronenfabrik sei, bei dem auch Johann Breitwieser und ein gewisser Josef Switak mitgearbeitet hätten.
Mit deinem Beuteanteil hat sich Ludwig Seitzer in Liesing, Theresienau 338, eine Wohnung ganz neu eingerichtet. Er kaufte sich Pferd und Wagen. Er war es auch, der gelegentlich die geheimzuhaltenden Fuhren für Breitwieser besorgte.
Übersiedlung nach Atzgersdorf
Breitwieser fand seine Wohnung bei Seitzer sen. nicht mehr geheuer und war auf der Suche nach einem noch verborgeneren Quartier. Er fand es in einer alten, halbverfallenen Mühle in Atzgersdorf-Mauer. Dort hauste als Hausbesorgerin Anna Weiß mit ihren Kindern. Ir stellte sich Breitwieser als Erfinder vor und sagte ihr, daß er ein Laboratorium brauche, zu dem die an der Mühle angrenzende Scheune wie geschaffen sei. Er pachtete die Scheune und bezahlte den Pacht im voraus. Seitzer brachte dem Breitwieser sein ganzes Werkzeug in die Scheune. Sie richtete er für seine Zwecke her.
Ein Besuch der Polizei. - Die angetroffene Totenbahre.
Da trat ein Ereignis ein, das nocht nicht ganz aufgeklärt ist. Die Polizeiagenten wollten am 10. d. früh, als sie erfahren hatten, daß sich Breitwieser in Atzgersdorf aufhalte, zu seiner Verhaftung schreiten. Erst sollten seine Genossen, die Familei Seitzer, ausgehoben werden, weil man mutmaßte, daß auch der so eifrig Gesuchte dort sei. Alssie am frühen Morgen mit allen Vorsichten in dei Wohnun kamen, erfuhren sie, daß Breitwiser nicht da sei, sie kamen aber an eine Totenbahre. Ludwig Seitzer war in der Nacht vorher olötzlich gestorben. Die Öffnung der Leiche, die angeordnet war, hat als Todesursache Alkoholvergiftung ergeben. Seitzer war aber niemals Trinker. Nun hieß es wohl, daß er, seitdem er so viel Geld besaß, täglich 30 bis 40 Stamperl Schnaps getrunken habe. Die Familie Seitzer wurde damals verhaftet. Später erst wurde bekannt, daß am Nachmittage des 10. März d. J. Breitwieser nochmals in die Wohnung des Pollak kam und die Leiche des Seitzer mit sichtlicher Rührung ansah. Er sprach dabei die seltsamen Worte: „Das Geld war dein Unglück. Mir wäre viel lieber, würde ich auf der Bahre liegen!“ Danach hatte sich Breitwieser mit größter Eile entfernt. Die einsame Scheune stand seither augenscheinlich leer. Sie hat von hinten eine Zufahrt, und als die Polizeiagenten bald danach kamen,konnte Frau Weiß, die Hausbesorgerin nur sagen, daß ein Mann die Scheune gepachtet und den Pacht im vorhinein gezahlt hat, daß sie ihm aber nciht ausziehen gesehen hat. Am Tore der Scheune hingen zwei große Dosesche Schlösser, die versperrt waren. Als man die Schlösser öffnete, zeigte sich, daß die Scheune vollkommen leer war.
Die verhafteten Spießgesellen.
Nach unzähligen Schwierigkeiten gelang zu ermitteln, daß sich Breitwieser in der Kritzendorfer Gegend aufhalten soll und so kam man schließlich azf seinen neuesten und gut gewälten Unterschlupf nach St. Andrä-Wördern. Die meisten Genossen seiner Taten sind schon seit geraumer Zeit in Haft: Franz Pollak, seine Gattin Sophie, ferner der bei ihnen wohnende Gärtnergehilfe Otmar Seitzer, seine Geliebte, die 18jährige Hilfsarbeiterin Anna Kubak, ihr Bruder, der Hilfsarbeiter Hohann Kubak, dann die Witwe des Ludwig Seitzer Katharina. Josef Switak konnte bisher nicht ausgeforscht werden. Rudolf Schier, der als Strohmann für Breitwieser die Villa in St. Andrä-Wördern gekauft hatte und bei dem Breitwieser gewohnt hat, hat sich heute vormittag selbst der Staatsanwaltschaft gestellt. Seine Gattin Luise ins eit dem 1. d. in Haft. Schier ist selbst ein vielfach abgestrafter, polizeilich bekannter Einbrecher.