Ein Heldenleben von Alfred Polgar.
Transkription: Michael Strasser
Breitwieser, Johann Breitwieser hat seine Freiheit wieder. Die Schauer, von denen das Wiener Rückenmark in diesen unsicheren Zeiten durchlaufen wird, sind um einen vermehrt.
Breitwieser ist unser tüchtigster, energischster, erfolgreichster Einbrecher. Wir haben keinen besseren. Er kommt, sieht, nimmt. Er ist Anhänger der reinsten Annexions- und Enteignungspolitik. Vor dem Schwung seiner Offensiven besteht kein Grenzschutz der Habe. Eiserne Kassen, Festungen des Besitzes, knackt er wie Beseler Antwerpen knackte oder Nowo-Georgiewsk.
er ist wandelnde Lebensgefahr. Die bedrohlichste, seit der Generalmajor Theisinger nicht mehr mustert. Er macht auf der Walstatt keine Gefangenen und gibt keinen Pardon. Verräter oder Verrates Verdächtige erledigt er in kurzem Prozeß wie ein k. u. k. Feldgericht. Niemals ergibt er sich. Sei die Übermacht noch so groß, er schlägt sich durch, zu den Seinen. Der Geist siegt über die Materie ... wie man das immer nannte.
Im Schießwesen ist er vorzüglich ausgebildet und verdient längst die rote Troddel, die den Brustkorb des treffsicheren österreichischen Kriegsmannes schmückte. Mit seiner Munition spart er, läßt den Feind herankommen und schießt erst, bis er scharf zielen kann. Seine Hand zittert so wenig wie sein Herz. Sein Revolver ist immer geputzt, eingefettet, schußfertig. Nie trennt er sich freiwillig von der treuen Waffe. Muß er sie entbehren, greift er zum Messer. Fehlt auch dieses, braucht er seine Zähne. Genau im Sinne des k. u. k. Dienstreglements, II. Teil, wo es vom „Nahkampf“ handelt.
Welch' ein Kriegsmann! In Gefangenschaft verrät und verleugnet er sich nicht. Kein Zwang bricht ihn. Nur der Gedanke frei zu werden und zum dritten, vierten, fünften Mal heil in's Feld seiner Ehre zu ziehen, beherrscht Träumen und Wachen dieses Ich-Patrioten. Stundenlang marschiert er in seiner Zelle auf und ab, zum Takt des Liedes: „Die Vöglein im Walde, die singen ach so wunder-, wunderschön.“ Und sein Herz schwillt vor Kampfwut und Groll gegen die Feinde und Ruhmbegierde. Und immer wieder glückt ihm waghalsige Flucht.
Daß ihm hiebei von Bewunderern seines Heroentums opferfroh Hilfe zuteil wird, ist nicht weiter erstaunlich. Reizt doch Breiwiesers entschlossene Person, von allen kriegerischen Tugenden umschimmert, naturgemäß auch zu Betätigung romantischer Kameradschaft auf. Obzwar ihm nicht annähernd die Tötung so vieler Menschen gelang, wie etwa dem General Potiorek oder einem mittleren Arzt, der sich knapp den Franzjoseforden ermustert hat, genießt er doch Helden-Popularität; und die Frauen zittern vor wonnigem Schreck beim Gedanken an den siebenundzwanzigjährigen Jüngling, diesen echtesten Sohn einer großen Zeit.
Die Behörden setzten Preise auf seinen Kopf, der österreichische Galgen stürzte sich in Unkosten, um den wertvollen Bissen zu ergattern. Aber der Tapfere ließ die Scholle nicht. Niemals hat er Versuche gemacht, das Ausland zu erreichen. In zäher Treue hängt er am Vaterland. Dort sind die Wurzeln seiner Kraft.
In der großen Campagne mordete er während einiger Monate unter Habsburgs Fahnen. Obzwar er nicht nur physisch, sondern auch seelisch durchaus A-tauglich für das edle Kriegshandwerk und seinen Talenten, Eignungen und Tugenden die steilste militärische Karriere sicher war, litt es ihn doch nicht bei dem organisierten Tötungsgeschäft. Seine Menschenwürde empörte sich gegen das Vertierte der Schützengraben-Existenz wie gegen die maschinelle Massenmetzelei. Und das Lügnerische der offiziellen Kriegs-Ethik erfüllte sein redliches Einbrecher-Herz mit bitterstem Abscheu. So beschloß er, dem häßlichen Metier trotz allem winkenden Lorbeer zu entsagen. Kraft seienr überlegenen Intelligenz wurde es ihm leicht, schwachsinnig zu erscheinen und - da er als Mannschaftperson für die höhere Führung nicht in Betracht kam - nach Hause geschickt zu werden.
Daheim verrichtete er nun neuerdings Wunder der Tapferkeit, hieb und schoß sich aus verzweifelten Situationen immer wieder heraus und schlug, den Vorteil der inneren Linie nützend, alle konzentrisch wider ihn angesetzten Stürme der Gegner - die ihn unter den gleichen ideellen Vorwänden bekämpften, wie die Entente die Zentralmächte: Gerechtigkeit, Sicherung der Welt gegen Mord, Einbruch und Gewalt - nie erlahmend, zurück.
Schließlich geriet er auf der „Schmelz“, dem Schauplatz zahlreicher Siege der österreichischen bewaffneten Macht, nach erbittertem Widerstand in Gefangenschaft. Dieses Treffen vom 6. April 1918 wird, obgleich es schlecht ausging, stets ein Ruhmesblatt im Heldenbuch der Wiener Einbrecher bilden.
Am 26. Dezember hatte sich Breitwieser seine Freiheit neuerdings tollkühn zurückerobert.
Wo ist er jetzt? Irrt er verlassen in der unwirtlichen Wiener Einöde? Botanisiert er, Schulter an Schulter mit treuen Kameraden, nach frischem kriegerischen Lorbeer, entschlossen, der Truppe Ruhm zu mehren oder durch den Todesschlaf zu Gott einzugehen als Einbrecher und brav? Ruht sein Haupt im Schoß einer holden ehrenden Frau? Steht er vor dem Spiegel, die Hand im Westenausschnitt und spricht: „bin's, den alle Häscher suchen!?“
Er hat Chance, der junge Held. Irdischen Richtern entzieht er sich. Und der himmlische? Vor dem kommt er nach alphabetischer Ordnung zwischen Boroevic und Brudermann. Da wird sein Sündenpäckchen wohl federleicht erscheinen.
„Breitwieser, Du hast Dich vergangen wider Leben und Eigentum Deines Nächsten!“
„Herr, wie konnte ich glauben, daß Dir an deren Schonung etwas gelegen sei? Hätte sonst Deine All-Mächtigkeit vier Jahre lang ...“
Worauf Gott unverzüglich eine Disziplinarstrafe über die unsterbliche arme Seele verhängen, aber sie dann ins Paradies laufen lassen wird, wo die Polizisten Palmwedeln haben und die Einbrecher Maschinengewehre.