Das Begräbnis Breitwiesers.
Massenbeteiligung am Leichenbegängnisse.
Transkription: Michael Strasser
Johann Breitwieser hat selbst das Ende gefunden, daß er so oft seinen Verfolgern von der Sicherheitsbehörde zu bereiten gedachte. Der Schuß aus einem Revolver traf ihn tödlich und verhinderte den gefürchteten Meister der Einbrecher an weiteren Missetaten. Der Tod löscht alle Sünden aus, und nach seinem Eintritt mochte aller Trost der Kirche und ihrer Bekannten die Herzen der Eltern erheben. Niemand kann und darf darüber eine Bemerkung machen, daß sie ihn nach ihren Mitteln prunkvoll begraben ließen. Aber die Teilnahme und das Benehmen des Publikums führten zu unerhörten Erscheinungen sittlicher und Rechtsbegriffe. In Wien hat man für Verbrecherromantik immer eine Schwäche gehabt. Diese Schwäche hat aber gestern zu einer imposanten Leichenfeier für einen gefürchteten Einbrecher geführt. An seiner aufgebahrten Leiche fand eine Defilierung statt, Tausende folgten dem Wagen, auf den sie stundenlang gewartet hatten, herzliche Nachrufe wurden gehalten, und während ein Quartett sang, wurden Kränze niedergelegt, deren Schleifen die Inschrift trugen: „Von deinen Kameraden“ - „Von deinen Kollegen“. Wir lassen nun nach der „Wiener Hochschulkorrepondenz“ den Bericht über diese merkwürdige Leichenfeier folgen:
Die Leiche des an den Folgen eines Lungenschusses verstorbenen Johann Breitwieser wurde vorgestern vom Inquisitenspitale des Wiener Landesgerichtes in die städtische Beisetzkammer in die Schlösselgasse gebracht. Nachdem die Behörde von der Vornahme der Leichenöffnung Abstand genommen hatte, wurde gestern vormittag die Leiche aufgebahrt. Vormittags hatten sich viele Hunderte von Neugierigen, darunter viele junge Mädchen und Männer eingefunden, umd die Leiche Breitwiesers zu besichtigen. Mittags wurde die Leiche mit dem Galaleichenwagen einer Unternehmung für Leichenbestattung nach der Meidlinger Pfarrkirche auf dem Migaziplatz überführt von wo um 2 Uhr das Begräbnis stattfand.
Obwohl der Tag und die Stunde nicht bekanntgegeben worden waren, hatte sich auf dem großen Platz vor der Kirche und in allen Nebengassen, welche der Leichenwagen passieren mußte, eine vieltausendköpfige Menge eingefunden. Um 2 Uhr langte der Galaleichenwagen vor der Kirche an, der Sarg wurde auf die Tragbahre gehoben, und Dechant P. Bruno nahm die erste Einsegnung der Leiche vor, worauf diese in die Kirche getragen und dort abermals eingesegnet wurde. Mit Rücksicht auf den gewaltigen Andrang wurde das Publikum in die Kirche nicht eingelassen; der Trauerfeier wohnten nur die Eltern und die nächsten Anverwandten des Breitwieser bei. Nach Absingung eines Trauerchorals wurde die Leiche auf den Meidlinger Friedhof getragen. Eine große Volksmenge gab ihr das Geleite bis zum Grabe, wo nach abermaliger Einsegnung der Obmann einer alpinen Gesellschaft Abschiedsworte an seinen Schulkameraden Breitwieser richtete, in welchen er ihn als „treuen Freund, verläßlichen Kameraden und gutherzigen Menschen“ schilderte. Den Beschluß der Trauerfeier machte ein Trauerchoral „Schlaf' wohl“, den ein Quartett sang. Den Sarg bedeckten viele Kränze, darunter einer mit der Schleifeninschrift „Von deinen Kameraden in Favoriten“, einer „Von deinen Kollegen“, einer „Von deiner tieftrauernden Braut Anna“, einer „Von deinen Eltern“ und andre.