Johann Breitwieser Breitwieser-Schani

Auf der Suche nach Breitwieser.

Der Verbrecherschlacht erster Teil.

Neue Freie Presse, 28. Juli 1918, Seite 11 f.
Transkription: Michael Strasser

Auf den Streifungen nach dem flüchtigen Verbrecher und Deserteur Johann Breitwieser, der sich immer wieder auf kühne und geschickte Art den Verfolgern zu entziehen wußte, haben sich, wie erinnerlich, einige sehr bedauerliche blutige Zwischenfälle ergeben. Die aus Militärpolizeisoldaten und Sicherheitswachleuten kombinierten Streifkompagnien legten im Eifer, den gefährlichen Breitwieser unschädlich zu machen, wiederholt eine nervöse Energie an den Tag, die den traurigen Vorfall in einem Kaffeehause in der Praterstraße verschuldete, wo zwei gänzlich harmlose Leute, von denen einer das Unglück hatte, Breitwieser ähnlich zu sein, weil sie im ersten Schrecken den Befehl: „Hände hoch!“ nicht befolgten, durch Schüsse niedergestreckt wurden. Einige Zeit vor dieser Szene kam es im Gasthause Kothbauer in Rudolfsheim zwischen streifenden Organen, die nach Breitwieser suchten, zu einem Kampf mit einigen Verbrechern, die zum Anhange des hauptsächlich Gesuchten gehörten. Kaum hatte die Wache das Lokal betreten, als ein richtiges Feuergefecht im Gange war. Schüsse flogen und ein Mann sank, von einem Zugsführer der Militärpolizei tödlich getroffen, zusammen.

Gegen den 23jährigen Markthelfer Josef Kucera, der auf die Wache geschossen hatte, wurde die Anklage wegen Mordversuches erhoben, gegen die er sich heute vor dem Schwurgericht zu verantworten hatte. Den Vorsitz führte Oberlandesgerichtsrat Dr. Kämpf, als Anklagevertreter fungierte Staatsanwalt Dr. Norddegg, die Verteidigung hatte Dr. Melbinger inne.

Die Anklage erzählte:

Das Feuergefecht im Gasthause Kothbauer.

Am Nachmittag des 16. Februar kamen vier Burschen, von denen einer die Uniform eines Infanteristen trug, in Begleitung eines Mädchens in das in der Ullmanngasse in Rudolfsheim gelegene Gasthaus Kothbauer. Bald darauf erschien eine Militärpatrouille, die auf einer Streifung nach dem gefährlichen Einbrecher und Deserteur Johann Breitwieser begriffen war. Die Korporale Desnizek und Kindler nahmen im Hausgang Aufstellung, die Korporale Daxböck und Kochmayer bewachten den rückwärtigen Ausgang des Gastzimmers, der Kontrollinspektor Emil Pavlik, der Oberwachmann Franz Radane, die Zugsführer Josef Beran und Franz Smertzka sowie der Korporal Leopold Blasel begaben sich in den Schankraum und traten sofort an den Tisch, wo die vier Burschen saßen.

Während der Aufnahme des Nationales krachten plötzlich mehrere Schüsse. Es entspann sich nun ein erbittertes Handgemenge, während desselben gelang es einem Burschen, auf die Gasse zu entfliehen. Dort gab Zugsführer Beran einen Schuß auf ihn ab, und der Flüchtige, es war der von seinem Truppenkörper entwichene Alois Graczoll, brach tot zusammen. Drinnen im Lokal wehrte sich Kucera verzweifelt gegen seine Verhaftung, und man sah sofort, daß er zur Abwehr einen Revolver aus der Tasche gezogen hatte. Dem Oberwachmann Kadane glückte es, die rechte Hand des Kucera festzuhalten, in der er den großen Armeerevolver hielt. Trotzdem vermochte es Kucera, noch einige Schüsse abzugeben. Eine Kugel ging durch den Mantel und die Bluse des Kadane, ohne ihn zu verletzen. Endlich gelang es dem Polizeiorgane den Kucera zu Boden zu ringen. Da fiel abermals ein Schuß, und die Kugel ging in nächster Nähe an dem Kopf des Wachmanns vorbei in die Wand. Jetzt stürzte sich auch der Korporal Resnizek auf Kucera und wurde bei dem Ringen durch zwei Schüsse an der Hand verletzt. Inspektor Pawlik, der gleichfalls eingegriffen hatte, erhielt bei dem Kampfe einen Schuß, der durch die Achselhöhle ging und die Lunge verletzte. Wie festgestellt wurde, hatten auch der mit Kucera im Gasthause weilende Markthelfer Josef Weber, sowie Graczol Revolver bei sich getragen, allein niemand hat gesehen, daß Weber schoß, und der Zweitgenannte war sofort nach dem Eintreten der Patrouille geflüchtet. Auch war der Revolver, den Graczol getragen, nur mit blinden Patronen geladen gewesen, der vierte der Burschen, der Militärflüchtling Leopold Schachinger, hatte keine Waffe getragen.

Lebenslauf des Angeklagten.

Josef Kucera hat bereits im 18. Lebensjahre die erste Strafe wegen Diebstahls erlitten. Schon damals war er als ein gewalttätiger Bursche bekannt, verübte Einbruchsdiebstähle und wurde eine Zeit lang auch in der Zwangsarbeitsanstalt in Korneuburg angehalten. Meist trieb er sich mit Deserteuren umher und als am 26. Januar d. J. sein Bruder Leopold Kucera bei der Verhaftung auf eine Wachmann einen Schuß abgab, war nicht nur der Beschuldigte, sondern auch der oft genannte und berüchtigte Breitwieser in seiner Gesellschaft. Kucera hatte, als er im Gasthause Kothbauer festgenommen wurde, Einbruchswerkzeuge sowie einen zehnschüssigen Offiziersrevolver bei sich, aus dem er zweifellos die Schüsse gegen die Wachmannschaft abgegeben hat.

Im Bewußtsein, daß er der Bruder der berüchtigten Einbrecher Karl und Leopold Kucera sei, führt die Anklage weiter aus, daß er selbst als gewalttätiger Dieb bekannt ist, daß er mit dem lange gesuchten Breitwieser verkehre und sich in Gesellschaft zweier Militärflüchtlinge befinde, mußte er seine Festnahme als sehr gefährlich betrachten und bestrebt sein, seine Verhaftung zu verhindern. Als er dann seinen Freund Graczol zum Widerstande entschlossen sah, mögen die letzten Hemmungen gefallen sein und er machte, dem Beispiele Breitwiesers und seines Bruders folgend, von der Waffe Gebrauch, um durch Ermordung der Wache seine Freiheit zu erzwingen.

Die Brüder Kucera.

Die Verhandlung wurde vom Vorsitzenden Landesgerichtsrat Dr. Kämpf kurz nach halb 10 Uhr eröffnet. Als Verteidiger des Angeklagten fungiert Dr. Ferdinand Melbinger.

Der Angeklagte, ein großer schmächtiger Bursche, der eigentlich recht harmlos und dabei intelligent aussieht, erklärte sich heute nichtschuldig.

Vors.: Was haben Sie denn eigentlich gearbeitet? - Angekl.: Ich war Markthelfer und habe dreimal in der Woche 40 K. verdient. - Vors.: Aber in der letzten Zeit hatten Sie ein anderes Geschäft und zwar bei Nacht. Ein Geschäft zu dem man solche Werkzeuge braucht. (Der Vorsitzende zeigt dem Angeklagten mehrere Einbruchswerkzeuge, die dem Kucera bei der Verhaftung abgenommen wurden.) Warum sind Sie denn das letztemal bestraft worden? - Angekl.: Weil ich meine Geliebte gestochen habe. - Vors.: Sie haben fünf Brüder? - Angekl.: Ja, drei sind im Felde. - Vors.: Und die beiden anderen werden wegen schwerer Verbrechen verfolgt, der Karl wegen Mordes und der Leopold wegen Mordversuches. - Angekl.: Von den zweien weiß ich jetzt nichts.

Vors.: Sie waren doch dabei, wie der Leopold auf einen Wachmann geschossen hat, auch der Breitwieser war damals in Ihrer Gesellschaft. - Angekl.: Mit dem Breitwieser habe ich nicht weiter verkehrt, er ist damals zufällig zu uns gekommen.

Der Angeklagte erzählt dann, daß er am 16. Februar, morgens, auf dem Markte gearbeitet und dann den Graczoll getroffen habe, mit dem er eineige Gast- und Kaffeehäuser besuchte. Sie trafen dann dann den Schachinger und den Weber und zechten mit ihnen weiter. Als sie in das Gasthaus Kothbauer kamen, war der Angeklagte bereits sehr stark betrunken, an die weiteren Vorfälle beim Erscheinen der Wache könne er sich nicht mehr erinnern.

Vors.: Woher hatten Sie den Revolver und die Einbruchswerkzeuge? - Angekl.: Den Revolver hat mir der Graczoll zum Aufheben gegeben, die Sperrhaken muß mir im Gasthause wer zugesteckt haben, weil ich sie früher nicht gehabt habe.

Vors.: Haben Sie geschossen, als die Wache Sie visitiert hat? - Angekl.: Ich weiß von gar nichts. Ich bin erst im Spital wieder zu mir gekommen, weil ich bei der Rauferei auch angeschossen worden bin. Wie das alles war, kann ich nicht sagen. Ich kann mich an gar nichts erinnern.

Die vernommenen Zeugen geben im wesentlichen an, daß sich der ganze Vorfall sehr rasch abgespielt habe, doch sei die Darstellung der Anklageschrift richtig. Zweifellos habe Kucera einigemale geschossen, um sich die Wachorgane vom Leibe zu halten.

Das Urteil.

Die Geschworenen, Obmann Herr Franz Watzl, bejahten nach kurzer Beratung die Schuldfragen auf versuchten Mord und Übertretung des Waffenpatents mit zwölf Stimmen.

Auf Grund dieses Verdikts verurteilte der Gerichtshof Josef Kucera zu neun Jahren schweren Kerkers.

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