Johann Breitwieser Breitwieser-Schani

Drei Mensch von der Polizei angeschossen.

Arbeiterzeitung, 2. April 1918, Seite 3
Transkription: Michael Menedetter

Die Polizeikorrespondenz meldet: In der letzten Zeit haben die Taten der Verbrechergruppe Kucera-Breitwieser sehr großes Aufsehen erregt. Dieser Bande gehören höchst eigentumsgefährliche Ein- und Ausbrecher an und bei ihrer Verfolgung ereigneten sich wiederholt Revolverszenen. Kucera wurde nämlich unter besonders schwierigen und die Polizei bedrohenden Verhältnissen unschädlich gemacht, Breitwieser entkam und hat seither wieder einen großen Kasseneinbruch begangen. Die unausgesetzten Nachforschungen nach Breitwieser führten Samstag abend zu einem Mißverständnis, das bedauerliche Folgen hatte.

Dem Polizeiagenten Karl Reisig war gemeldet worden, der verfolgte Johann Breitwieser sitze im Cafe Fleischhacker in der Praterstraße Nr. 47. Er verständigte die Wachstube in der Kleinen Mohrengasse und diese verständigte das Polizeiamt Leopoldstadt und die Militärpolizeiabteilung des Bezirkes. Revierinspektor Josef Kretz ging mit zwei Organen der Militärpolizei und dem Wachmann Johann Lenz, der Zivilkleidung trug, zunächst zur Beobachtung ins Kaffeehaus. Hier saßen ein Soldat, ein Zivilist und ein dritter Mann, der in reichsdeutscher Uniform war. Dieser Mann hatte große Ähnlichkeit mit Breitwieser. Zehn Minuten später trat der Revierinspektor mit mehreren Wachmännern und den Militärpolizisten ins Lokal. Auf den Anruf: „Hände hoch!“ sprang der deutsche Soldat auf, steckte aber die Hände unter den Tisch, so daß es auf die Amtsorgane den Eindruck machte, daß er eine Waffe verberge. Wachmann Zaplatilek, vermeinend, er müsse einem Revolverangriff zuvorkommen, feuerte drei Schüsse ab. Der erste streifte den deutschen Soldaten nur am Ohr, der zweite aber traf ihn in die Brust. Der Verletzte sank unter den Tisch. Der Kommandant der Militärpolizeiabteilung Feuerwerker Spitzbart glaubte, der Mann wolle unter dem Tische herv0rschießen, und feuerte gegen ihn, traf aber den österreichischen Soldaten, der am Unterleib verletzt wurde. Als während dieser Szenen Wachmann Lenz den Zivilisten aufforderte, die Hände hochzuhalten, griff der Mann mit der linken Hand in die Tasche seines Beinkleides und durch diese Bewegung wurde auch hier der Verdacht gewaltsamer Gegenwehr geweckt und Lenz feuerte einen Revolverschuß ab. Er traf den Mann am linken Unterarm. Der deutsche Soldat, der Obergefreite Johann Grübler, zugeteilt der Fliegerabteilung in Fischamend, ist minder schwer verletzt; ernster betroffen ist der Deutschmeister Jodef Rosenfeld. Diese beiden wurden nach erster Hilfeleistung ins Garnisonsspital gebracht. Der Zivilist, der 53jährige Agent Wilhelm Singer, ist leicht verletzt und konnte sich, nachdem ihm die Mannschaft der Militärpolizei Hilfe geleistet hatte, allein nach Hause begeben.

Diese erste Darstellung, die noch von den schießenden Polizisten stammt - die Angeschossenen und die anderen Zeugen wurden nicht gefragt -, weist so viele Lücken auf, daß ihr wenig Beweiskraft innewohnt. Wenn man schon glaubte, der Wiener Einbrecher Breitwieser trage deutsche Soldatenuniform, und wenn man schon meinte, daß der Deutsche, der nicht gewußt hat, was der plötzliche Ruf „Hände hoch!“ zu bedeuten habe, unter dem Tische einen Revolver schußbereit machen wolle - warum hat man nicht gerufen: „Sofort Hände hoch oder wir schießen!“? Auf diese eine Sekunde wäre es doch nicht angekommen. Und warum hat der Wachmann Zaplatilek nicht den Erfolg des ersten Schusses abgewartet, sondern gleich dreimal geschossen? Und daß man nach diesen Schüssen nicht verstand, daß der dreimal Angeschossene zusammenstürzen könne, sondern meinte, er wolle sich unter dem Tische verkriechen und von hier aus schießen - das ist schon gar nicht zu verstehen. Darum begreift man auch nicht, wie es zum vierten Schuß kam, durch den der österreichische Soldat schwer verletzt wurde. Und erst der fünfte Schuß! Daß der dreiundfünfzigjährige Wilhelm Singer so gefahrdrohend ausgesehen haben soll, daß der Wachmann Lenz ihn niederzustrecken beschloß - das zu glauben können wir uns nicht entschließen.

Natürlich sollte die Staatsanwaltschaft diese, wie es scheint, zum größten Teile dem Uebermut und dem Bewußtsein der polizeilichen Immunität entsprungene Schießerei gründlich untersuchen. Wir vermuten aber, man wird über diese Sache nichts mehr hören. Die Schießenden haben eine Verantwortung abgegeben - sie ist die amtliche Wahrheit und damit basta!

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