Johann Breitwieser Breitwieser-Schani

Kriminalistik im Kriege.

Znaimer Wochenblatt, 15. Juni 1918, Seite 2
Transkription: Michael Menedetter

Schritthaltend mit den großen Umwälzungen in unserem gesellschaftlichen Leben hat auch das Verbrechertum vielfach geänderte Formen und Maße angenommen.

Wenn auch der Großteil der Verbrecher-Stammchlique derzeit nicht an der Arbeit ist, so besorgt diese ein allerdings nicht derart umsichtiger, doch um so rühriger Nachwuchs.

Der Großteil, ja man kann sagen, fast alle Bahn- und sonstigen Diebstähle werden durch Jugendliche vollführt.

Es ist dies gar nicht das Feld unserer eingearbeiteten Verbrecher und es dürfte wohl am verständlichsten sein, wenn wir bei den einzelnen Species der Verbrechen die Friedensparalelle ziehen.

An erster Stelle haben wir den Betrug (in jeder Form); hier ist eine völlige Aenderung vor sich gegangen und wir können aus der Fülle der Abarten den falschen Kauf von Lebensmitteln und die Schwindel- (Kino) Schulen als die meist vorkommenden anführen.

Das Sittlichkeitsreferat gehört fast ausschließlich in die Kategorie der spezifischen Kriegsverbrechen, die ich an späterer Stelle zusammenfassen will. Bloß die Perversitätsverbrechen halten sich auf ungefähr gleicher Stufe wie im Frieden.

Die Münzfälschungen haben derzeit einen Minimalstand erreicht und es kursieren jetzt als nennenswert bloß einige Typen von Hundert-Kronennoten-Falsifikaten, die abwechselnd in Wien, häufiger aber in Prag auftauchen.

Winkelbuchmacherei und Hasard bilden die am meisten frequentierten Verbrechen. In der Großstadt spielen heute gut 80% aller Spieler Hasard, in jeder Form (Poker, Wischi-Waschi, Meine Tante - Deine Tante, Stoß, Einundzwanzig). „Hasardsaison“ ist die Zeit der Rennen. Da kann man in gewissen Lokalen mit einem Schlag die verschiedensten „Arbeiter“ in Sicherheit bringen. Hie und da finden sich Falschspieler; Kettelziehen und Ringwerfer scheinen ganz ausgestorben zu sein.

In den öffentlichen Lokalen ist Hasard verhältnismäßig leicht zu bekämpfen, umso schwieriger jedoch in den Privatwohnungen, wo unglaublich viel und um viel gespielt wird.

Nun kommen wir zu den eigentlichen Kriegsverbrechen: Leibesfruchtabtreibung, Taschendiebstahl, Einbruch und Mord.

Die Leibesfruchtabtreibung ist fast zur Selbstverständlichkeit geworden und es ist klar, daß der Staat an den Geburten, gerade jetzt, ein besonderes Interesse hat und die Verbrechen gegen das keimende Leben aufs schärfste bekämpft. Im Alltag der Großstadt bleibt indes das meiste unaufgedeckt und es ist nur ein kleiner Prozentsatz, der der richterlichen Strafe zugeführt werden kann.

Der Taschendiebstahl hat jetzt seine besten Zeiten. Denn erstens herrscht auf allen Bahnhöfen das idealste,chaotische Gedränge und zweitens sind die Taschendiebe tatsächlich, im wahrsten Sinne des Wortes, Meister in ihrem Fach. Allein arbeiten die wenigsten, sondern hauptsächlich mit Komplizen, die im Notfall ein künstliches Gedränge erzeugen, in dem das Opfer eingekeilt wird. So arbeitet arbeitet gegenwärtig mit großem Erfolg eine Bande auf der Nordbahnstrecke von Krakau gegen Wien.

Leute wollen in der Station einsteigen. Der Bahnsteig ist nur spärlich beleuchtet. Alles drängt und will sich ein Plätzchen im Coupee erobern, da müssen aber auch noch Leute aussteigen, ein Zwängen und Drängen - da ertönt plötzlich von irgendwo der Ruf „Haschel“ - und die Menge ist völlig festgekeilt, man spürt Stoßen und Drücken - und auf der Fahrt macht man die traurige Beobachtung, daß einem die Brieftasche fehlt. - Dies sei bloß ein Beispiel aus der Fülle der Fälle.

Der Einbruch und besonders der Kaseneinbruch dürfte momentan einen noch nie erreichten Höhepunkt erklommen haben.

Die Technik ist fortgeschritten, die Werkzeuge modern, der stärkste Panzer wird bewältigt.

Der Einbrecherkönig Wiens, Johann Breitwieser, ist von Beruf Schlosser und ein höchst intelligenter Bursche. Er hat mit Brustbohrer gearbeitet. Er allein war der Arbeiter, all' seine Komplizen waren bloß die Handlanger, Aufpasser. Einen Einbruch hatte er noch vor; mit Sauerstoffgebläse sollte gearbeitet werden, eine Beute von fast einer halben Million wäre ihm zugefallen, da wurde er den Tag vorher verhaftet.

Mit seiner Verhaftung haben die Sensationseinbrüche aufgehört, doch gibt es eine Unmasse all der minderen Einbrüche und Diebstähle.

Morde sind einstweilen noch vereinzelte aufsehenerregende Fälle, werden sich aber leider - fast möchte man sagen, zu einer Massenerscheinung ausbilden.

Die Moral ist nun einmal im Sinken begriffen und ebenso der Wert der Menswchenleben.

Die heutugen Mörder sind nicht die Verbrecher von ehedem, sondern mehr oder weniger zum Mörder gewordene Verbrechereleven.

Dies zeigt am Besten der Fall im Hotel Bristol in Wien.

Wie sieht denn dieser Kurt Franke, der Mörder aus?

Ein schmächtiges Bürschchen sitzt tadellos gekleidet, mit eleganten Lackschuhen in der Zelle.

Gar nichts von der Blutrünstigkeit früherer Verbrecher.

Detektivgeschichten und Kino sind das fressende Gift, das unsere heutigen Verbrecher erst dazu macht, was sie sind.

Der schöne Reigen ist beschlossen, wenn man noch nebenbei Hochstapelei und Kuppelei erwähnt, deren Frequenz ziemlich gesunken, da das gemeine Verbrechen heute Trumpf ist.

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